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Auszeichnung für zwei wissenschaftliche Studien über die Verarbeitung visueller Informationen im Gehirn
Wie die Eberhard Karls Universität Tübingen bekanntgibt, gehen diesjährigen Attempto-Preise der Tübinger Attempto-Stiftung an Matthias Baumann für seine Arbeit über die Rolle der Hirnregion Colliculus superior bei der Integration visueller Informationen in motorische Signale zur Steuerung schneller Augenbewegungen und an Roxana Zeraati für ihre Veröffentlichung über die Verarbeitung von Sehinformationen im Gehirn auf unterschiedlichen Zeitskalen. Die Erkenntnisse der beiden Arbeiten dürften auch für Augenoptiker und Optometristen sowie auch für die Entwicklung neuer Produkte und Bestimmungsverfahren interessant sein.
Matthias Baumann promoviert am Werner Reichardt Centrum für
Integrative Neurowissenschaften (CIN), dem Hertie-Institut für klinische
Hirnforschung und dem Fachbereich Biologie der Universität Tübingen. Er wird
für eine Studie ausgezeichnet, in der er gemeinsam mit seinen Koautoren die
Rolle einer bestimmten Gehirnregion, dem Colliculus superior, bei der Steuerung
schneller Augenbewegungen, den sogenannten Sakkaden, neu bewertet. Bisher nahm
man an, dass der Colliculus superior in erster Linie motorische Befehle zur
Ausführung dieser Bewegungen generiert. Baumann entdeckte jedoch, dass die
Nervenzellen dieses Mittelhirnbereichs nicht nur die Bewegung selbst steuern,
sondern auch detaillierte visuelle Informationen über das Ziel der
Augenbewegungen in diesen ‚motorischen‘ Befehlen kodieren.
Wenn die Sakkaden auf realistische Objekte gerichtet sind, erwies sich die
sensorische Abstimmung dieser motorischen Signale als deutlich ausgeprägter,
als wenn einfache oder zufällig generierte Bilder gezeigt wurden. Der Colliculus
superior kann visuelle Informationen über das Ziel der Sakkaden auch in
Momenten aufrechterhalten, in denen die Bildinformation der Netzhaut durch die
schnelle Bewegung des Auges unzuverlässig ist. Baumann und das Team vermuten,
dass der Colliculus superior eine Art internen Vorschaumechanismus bietet.
Dieser unterstützt das visuelle System, sodass auch während der kurzen Phase
der Unsicherheit durch die schnellen Augenbewegungen eine stabile und präzise
Wahrnehmung des Ziels gewährleistet ist.
Durch die neuen Ergebnisse lässt sich besser verstehen, warum unser Sehsystem
in der Lage ist, trotz der schnellen Augenbewegungen eine zusammenhängende und
stabile Wahrnehmung der Umwelt zu erzeugen. Die Studie belegt, dass die
Hirnregion des Colliculus superior eine größere Rolle bei der visuellen
Wahrnehmung spielt als bisher angenommen. Sie erweitert zudem das Verständnis
dafür, wie das Gehirn sensorische und motorische Informationen integriert.
Roxana Zeraati forscht im Rahmen ihrer Doktorarbeit am Graduate Training Centre
of Neuroscience der Universität Tübingen und an der International Max Planck
Research School for the Mechanisms of Mental Function and Dysfunction. Ihre mit
dem Attempto-Preis ausgezeichnete Publikation behandelt die Informationsverarbeitung
im Gehirn über verschiedene Zeitskalen, die das Überleben in einer dynamischen
Umwelt erst ermöglicht. Zum Beispiel muss auf die Wahrnehmung einer direkten
Gefahr in der Umgebung sofort reagiert werden; doch müssen die
Sinnesinformationen gleichzeitig über einen längeren Zeitraum integriert
werden, um Aufgaben wie Entscheidungsfindung und Planung bestmöglich lösen zu
können. In der Wissenschaft vermutet man, dass diese verschiedenen Zeitskalen
der Informationsverarbeitung in entsprechenden Zeitskalen neuraler
Aktivitätsfluktuationen im Gehirn kodiert sind.
In der ausgezeichneten Studie hat Zeraati gemeinsam mit ihrem Team untersucht,
wie die Zeitskalen der neuralen Aktivitätsfluktuationen mit der Verarbeitung
von Sehinformationen korrespondieren, wenn die Aufmerksamkeit auf einen
bestimmten Punkt im Raum gerichtet ist. Dazu nutzten sie Daten, die in
Experimentallaboren an der Stanford University und Newcastle University bei
Versuchen mit Affen gewonnen wurden. Diese erhielten Aufgaben, die ihre Aufmerksamkeit
im Raum lenkten, während ihre Hirnaktivitäten aufgezeichnet wurden. Bei der
Analyse der Daten stellten Zeraati und ihre Kolleginnen und Kollegen fest, dass
lange und kurze Zeitskalen gleichzeitig in der neuralen Dynamik zu finden sind,
aber nur die langen Zeitskalen an den Aufmerksamkeitsstatus der Affen angepasst
sind. Wenn die Affen ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte visuelle Reize
richteten, verlängerten sich die langen Zeitskalen weiter, was mit einer
kürzeren Reaktionszeit der Affen korreliert war.
Um die Mechanismen solcher Anpassungen zu verstehen, entwickelte das
Forschungsteam Computermodelle, die verschiedene Aspekte der zellulären und
Netzwerkeigenschaften des Gehirns abbilden. Die Forscherinnen und Forscher
stellten fest, dass lange Zeitskalen der neuralen Aktivität dadurch geformt
werden, wie die Nervenzellen miteinander verbunden sind und wie sie
interagieren. Wenn die Interaktionen verstärkt werden, kann das Hirn
Informationen über lange Zeitskalen verarbeiten. Dies scheint relevant zu sein,
um Sehinformationen während der Aufmerksamkeitsspanne zu nutzen. Die Arbeit
zeigt, wie die Integration von Experimenten und Computermodellen in den
Neurowissenschaften hilft, die Verbindung zwischen Hirnstrukturen,
Hirnfunktionen und flexiblem Verhalten besser zu verstehen.
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